Status quo

Wir alle sind Verbraucher. Wir alle gehen einkaufen - online oder im Geschäft. Viele von uns versuchen, bewusstere Entscheidungen zu treffen. Aber das können wir nur, wenn wir zuverlässige, ehrliche Informationen haben.

Stell’ dir vor, du bist in einem Geschäft und suchst nach einem neuen Hemd. Du stöberst durch Dutzende von Angeboten mit unterschiedlichen Farben, Materialien und Marken. So weit, so gut. Um sich abzuheben, machen einige Marken große Versprechungen und vermarkten ihre Produkte als umweltfreundlich, klimaneutral oder biologisch abbaubar. Vielleicht machst du dir auch Gedanken über die Arbeitsbedingungen in Fabriken in Bangladesch oder den Einsatz von Pestiziden im Baumwollanbau.

Also versuchst du, verantwortungsbewusster zu wählen. Aber es gibt ein Problem: Jedes Hemd hat irgendeine Art von grünem oder ethischem Label. Welchem kannst du wirklich vertrauen? Welche Behauptung ist legitim? Welches ist ein Marketing-Bluff? Für verantwortungsvoll produzierte Hemden können Sie selbst recherchieren - aber auch für Fisch, Möbel und Druckpapier? Unwahrscheinlich.

Greenwashing mit Hilfe von Etiketten ist weit verbreitet - bei Textilien und darüber hinaus. Gerichtsverfahren in der Textilbranche, bei Kosmetika und in der Luftfahrt quer durch Europa zeigen, wie weit verbreitet Greenwashing ist. Die Gerichtsverfahren sind ein wenig ermutigend, weil die Unternehmen genug Druck verspüren, um zumindest ihre Nachhaltigkeit vorzutäuschen. Aber wir brauchen nicht noch mehr Augenwischerei. Wenn man sich den “Nachhaltigkeits”-Bericht von SHEIN ansieht, fragt man sich, was in aller Welt deren Geschäftsmodell mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Die biologische Vielfalt wird nicht einmal als wesentlich angesehen - man denke nur an den Pestizideinsatz in der Lieferkette.

SHEIN Nachhaltigkeitsbericht
Titelseite von SHEINs Nachhaltigkeitsbericht

Ein weiteres bekanntes Beispiel stammt von der DWS. Der größte deutsche Vermögensverwalter wurde von der deutschen Staatsanwaltschaft zu einer Rekordstrafe von 25 Mio. EUR wegen irreführender Behauptungen über die Nachhaltigkeit seiner Anlageprodukte verurteilt.

In Deutschland hat die Dieselgate-Affäre den Ruf von Volkswagen schwer beschädigt und zu Rekordstrafen geführt. Das Unternehmen vermarktete seine Autos als sauberer, als sie sind, und manipulierte Abgastests. Es wurde festgestellt, dass die Stickoxidemissionen bis zu 40-mal höher waren als der gesetzliche Grenzwert. Die Folgen? Mehr als 124.000 vorzeitige Todesfälle.

Greenwashing kann echten Schaden anrichten. Einige Unternehmen müssen manchmal mit Konsequenzen rechnen, andere kommen weiterhin ungestraft davon.

Zweck der Green Claims-Richtlinie

Die eigenen Daten der Europäischen Kommission zeigen, dass fast die Hälfte aller Angaben zu Nachhaltigkeit in der EU vage, irreführend oder nicht belegt sind. Für 40 % gibt es keine Beweise, und 53 % sind absichtlich unklar. Dieses Greenwashing zu verhindern ist wichtig für Unternehmen mit glaubwürdigen Klimaschutzmaßnahmen und für die EU-eigenen Klimaziele.

Dieses Ausmaß ist kein Detail - das ist ein kaputter Markt. Und einer, der Unternehmen bestraft, die versuchen, das Richtige zu tun.

Als Reaktion darauf hat die Europäische Kommission im Jahr 2023 die Green Claims-Richtlinie eingeführt, um die Zuverlässigkeit von Umweltangaben zu erhöhen durch die

Von der Leyens Rückzieher

Der dritte Trilog über die Green Claims-Richtlinie war für den 23. Juni angesetzt, um die Richtlinie nach zwei Jahren Arbeit zwischen den EU-Institutionen fertig zu stellen. Der Europäische Rat sagte die Sitzung jedoch in letzter Minute ab und verwies auf die Pläne der Kommission, die Richtlinie zurückzuziehen. Tatsächlich hatte ein Sprecher der Kommission die Rückabwicklung der Richtline angekündigt. Die Kommission war wohl einem Brief der Europäischen Volkspartei (EVP) nachgekommen, die ihre allgemeine Ablehnung angekündigt hatte. Der zunehmende öffentliche Druck und die Verärgerung im Europäischen Parlament führten dazu, dass die Kommission sich wieder zur Richtlinie bekannte. Vielleicht wollte die Kommission nur die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine unsichere Mehrheit im Europäischen Rat lenken. Sowohl Polen als auch Italien zogen ihre Unterstützung für die Richtlinie zurück. Die Zukunft der Richtlinie ist unklar.

In Polen und Italien ist der Druck seitens der EVP groß. Was sind die Argumente für die Abschaffung der Richtlinie über grüne Forderungen? Ein Brief der EVP an Kommissarin Roswall konzentriert sich auf die üblichen Verdächtigen: Bürokratie und Verwaltungsaufwand. Die EVP bezeichnet die Auswirkungen der Richtlinie auf die Unternehmen als “Verfahren, die übermäßig komplex, verwaltungsaufwändig und kostspielig sind”. Der Brief spielt auch vage auf eine angeblich unzureichend begründete Grundlage für die Richtlinie an, indem sie deren Folgenabschätzung kritisiert. Interessanter Weise waren Folgenabschätzungen bisher kein Thema - und wurden sogar ignoriert - wenn sie auf die Notwendigkeit eines Gesetzes hinwiesen. Beispiel CSRD.

Eine Welle der Deregulierung überrollt die Green Claims-Richtlinie

Die Green Claims-Richtlinie könnte das jüngste Opfer einer breiteren Welle der Deregulierung aller Rechtsvorschriften sein, die den Übergang zu einer verantwortungsvolleren Wirtschaft fördern sollen. Bisher lag der Schwerpunkt vor allem darauf, die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD), die Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen (CSDDD) und die EU-Taxonomie in Schutt und Asche zu legen.

Die breit angelegte Deregulierung soll angeblich eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft fördern, doch diese Behauptung wurde widerlegt. Eine vom finnischen Außenministerium in Auftrag gegebene Studie kam zum Beispiel zu dem Schluss, dass nicht die Regulierung selbst, sondern die Regulierungsunsicherheit die Unternehmen am meisten belastet. Auch eine Umfrage des Kollektivs #WeAreEurope von mehr als 1.000 Unternehmen zeigt klar deren Unterstützung der CSRD.

Auf Kurs bleiben, nicht nachgeben

Unsere Botschaft an die Europäische Kommission ist einfach: Zeigt Rückgrat und bleibt auf Kurs.

Die Rücknahme der Green Claims-Richtlinie würde Täuschung belohnen. Sie würde die Unternehmen bestrafen, die versuchen, das Richtige zu tun. Die Verbraucher:Innen - einschließlich der EVP-Wählenden - würden mit Falschinformationen getäuscht werden.

Niemand will belogen werden. Lasst uns also die Wahrheit in Sachen Nachhaltigkeit zum Gesetz machen, nicht zur Ausnahme.

Bürokratiemonster Fleur
Fleur feuert die Europäische Kommission an, stark zu bleiben